Philadelphia Pucks - Caden & Paris
Caden Diaz konnte nicht mehr zählen, wie oft er bereits an den meistbietenden Eishockey-Verein verkauft wurde.
Der Neue – zudem aus einer verfeindeten Hockey-Mannschaft – zu sein, war für ihn also absolut nichts Neues. Dass er dabei auf eine Frau trifft, die ihm nicht sofort zu Füßen liegt, jedoch schon. Entgegen seiner Annahme war Paris keines der Puck Bunnys, das ausnahmslos nach seiner Pfeife tanzte, und zum ersten Mal seit Ewigkeiten wünschte er sich, mehr über diese Frau zu erfahren, die ihm in einer einzigen Begegnung so völlig den Kopf verdreht hatte.
Dies ist der 4. Band der „Philly Ice Hockey"-Reihe. In jedem Band geht es um ein anderes Pärchen.
Leseprobe:
KAPITEL 1
Caden
Ich hasse Phildalephia. Okay, ich mag eigentlich überhaupt keine Stadt. Vielleicht wäre ich eher so der Landtyp, wenn ich wirklich eine Wahl hätte.
Aber die habe ich nicht, zumindest wenn man meinem Manager glauben kann. Er ist fest der Meinung, dass ich gerade ganz steil auf den Höhepunkt meiner Karriere zusteuere und dass ich, wenn ich jetzt nicht vom Kurs abkomme, für den Rest meines Lebens ausgesorgt habe.
Das habe ich auch jetzt schon, er versteht es nur nicht. Ich komme aus einfachen Verhältnissen und gebe nicht viel Geld für Luxus aus, weil es mir das einfach nicht wert ist. Wofür sollte ich eine Uhr für 30.000 Dollar an meinem Handgelenk haben, wenn ich die 30k auch auf meinem Konto liegen haben kann und im Gegensatz zu Tausenden anderen Idioten am Ende meiner Karriere nicht mit nichts dasitze.
Coach Z tritt vor mein Laufband und spricht mit mir. Ich höre ihn nicht, sehe nur, wie seine Lippen sich bewegen, während der satte Bass von Kayne West in meinen Kopfhörern wummert. Im gleichen Takt klatschen meine Füße aufs Laufband. Einen Schritt nach dem nächsten. Kilometer um Kilometer. Das Laufen reinigt meine Seele, bringt alles zurück ins Gleichgewicht.
Ich sehe, wie er nach dem Kabel meiner Kopfhörer greifen will, und schlage seine Hand beiseite. Ich hasse es, wenn jemand mich berührt, aber ich hasse es noch mehr, wenn jemand an meine Kopfhörer will.
"Was?", knurre ich, nachdem ich einen Kopfhörer entfernt habe, halte aber exakt meinen Laufrhythmus.
"Du solltest Feierabend machen", wiederholt der Coach und wirkt ziemlich genervt von mir. Kein Wunder, jeder scheint irgendwie genervt von mir zu sein. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber es ist tatsächlich schon so, soweit ich denken kann. Und ich habe aufgegeben, etwas daran zu ändern.
"Hab erst zwanzig", brumme ich und wische mir mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn, dann erhöhe ich die Steigung. Das Training ist nicht anstrengend genug.
Der Coach schüttelt den Kopf. "Du solltest langsam tun, Diaz. Jeden Tag auf Höchstleistung zu trainieren, tut deinem Körper auch nicht gut."
Ich sage nichts, laufe stur weiter. Ich weiß schon, was mein Körper braucht, und das ist viel Auslastung, damit ich später einfach ins Koma falle.
"Caden! Ich meine es ernst."
Das weiß ich. So oder so habe ich das Gefühl, dass der Coach mich permanent im Auge hat. Vielleicht, weil ich ein ziemlich teurer Neuzugang bin. Die Phildelphia Pucks haben mich diese Saison zugekauft. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Spieler nicht begeistert über diese Entwicklung waren. Immerhin komme ich von der verfeindeten Mannschaft. Aber es ist mir egal. Es ist mir egal, wie die Mannschaften zueinanderstehen, und es ist mir egal, ob die Leute hier mich leiden können oder nicht.
Es wäre mir sogar verdammt noch mal egal, wenn sie mich allesamt hassen würden. Das habe ich meine halbe Kindheit lang durchgemacht, und es hat mich nicht interessiert, warum sollte es das jetzt? Ich mache mein eigenes Ding. Wenn jemand ein Problem mit mir hat, kann er gern die Fresse voll bekommen oder sie sollen mich in Ruhe lassen. Tatsächlich ist mir sogar das egal.
"Feierabend, Caden!" Coach Z verschränkt die Arme vor der Brust. Ich habe bereits gelernt, dass das sein letztes Wort ist.
Verdammt! Ich will mein beschissenes Training beenden.
"Nur noch drei Kilometer", murmele ich und bekomme dabei fast so etwas wie einen bittenden Tonfall hin. Ich versuche nett zu sein, um meinen Willen zu bekommen. Ich bin neu hier, ich muss mir ja nicht gleich jeden verdammten Weg versauen.
Coach Z zieht die Augenbrauen zusammen, nickt aber schließlich, dann geht er weiter in Richtung der Büros. Wenn ich viel Glück habe, bleibt er lang genug darin, dass ich meine dreißig Kilometer noch voll bekomme.
Ich erhöhe die Geschwindigkeit und setze den Kopfhörer zurück in mein Ohr. Dann lasse ich meine Gedanken wieder fallen und verliere mich in dem Rhythmus meiner Füße. Etwas, was mich zuverlässiger aus meinem Leben trägt als jede andere Droge dieser Welt.
Paris
"Dein Ernst?", frage ich, als Orlando mir das Handy aus den Fingern zieht, weil ich ihm nicht genug Aufmerksamkeit schenke.
"Mein Ernst." Er seufzt, als wäre das Leben wirklich anstrengend mit mir, dabei ist das Leben anstrengend mit ihm. Er ist es schließlich, der 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche wissen will, wo ich bin und was ich treibe.
Ich weiß, er meint es nur gut und will auf mich aufpassen, aber er übertreibt einfach manchmal gewaltig.
"Du kannst nicht durch die Welt gehen, als würde dich niemand kennen!", beschwert sich mein Bruder. Er meint, ich würde mich zur Zielschiebe machen, weil ich als Influencer so in der Öffentlichkeit stehe.
Für mich ist es aber Teil meines Lifestyles. Es gehört genauso dazu wie mein Studium in Freizeitwissenschaften, das Orlando zwar finanziert, aber ich weiß, dass er innerlich die Augen darüber verdreht.
"Aber Regenbogen-Haare? Ernsthaft, Paris? Du kannst auch gleich ein 'Kidnappe mich'-Schild auf der Stirn tragen."
"Uncool", kommentiere ich und nehme ihm mein Handy wieder ab. Ich muss nachsehen, wie mein Nach-Frisör-Bild bei der Community ankommt.
Hoffentlich besser als bei Orlando.
Ich verfolge seinen Vortrag nicht so wirklich, es ist sowieso immer dasselbe.
Doch als ich das nächste Mal aufsehe, runzle ich die Stirn. "Wohin fahren wir?", frage ich, weil das eindeutig nicht der Weg nach Hause ist.
"Ich muss noch mal ins Stadion, der Coach braucht was von mir."
Augenverdrehend stöhne ich auf. Ich hasse es, wenn Orlando mich mit zu seinem Eishockey-Scheiß schleppt. Es gibt nichts Langweiligeres, als in diesen Geisterhallen herumzuschlendern und auf Orlando zu warten.
"Kannst du mich nicht erst nach Hause fahren?", jammere ich.
"Das sind eineinhalb Stunden Umweg, Paris!", beschwert er sich, als wäre die bloße Frage eine Beleidigung. "Und eigentlich habe ich schon keine Zeit gehabt, dich vom Frisör zu holen!"
Wieder verdrehe ich die Augen. Ich hätte auch ein Taxi genommen, aber dann hätte der feine Herr ja wieder einen Anfall bekommen. Manchmal ist es wirklich anstrengend mit ihm, auch wenn er immer so tut, als wäre ich das Problem.
Nicht dass das jetzt falsch klingt, ich liebe Orlando. Er ist alles, was ich noch habe. Was aber nicht heißt, dass zwischen uns nicht regelmäßig die Fetzen fliegen.
Die Limousine hält vor dem großen Gebäudekomplex der Phildalephia Pucks – zum Stadion zählt nicht nur das Eisfeld, sondern auch die Büros, Trainingsräumlichkeiten und alles, was zu einer so großen Sport-Organisation dazugehört. Durchs Fenster sehe ich die hohe Backsteinfassade hinauf. Ein Seufzen kann ich gerade noch unterdrücken, weil es mich mehr als nur nervt, hier zu sein.
Orlando braucht jedes Mal ewig, wenn er "nur noch mal kurz" ins Gebäude muss. Was auch immer er da dann tut.
Genervt steige ich aus und folge ihm durch die großen Schwingtüren ins Innere. Ich werde eine Instagram-Story machen und meinen Followern ein wenig exklusive Einblicke in die heiligen Hallen der Pucks bieten.
So exklusiv und weltbewegend sind diese Einblicke zwar nicht, aber irgendwie scheint es die Sensationsgier der Internetwütigen anzusprechen. Ich hingegen würde alles dafür tun, nicht hier sein zu müssen.
"Ich ruf dich an, Süße, wenn ich fertig bin", sagt Orlando und küsst mich auf die Stirn.
Nickend wende ich mich ab und gehe in Richtung der Umkleiden. Wenn es einen Skandal gibt, dann vermutlich hier.
Okay, wirklich viel habe ich hier noch nicht erlebt. Es gibt nur massenhaft überzogene Egos, ein paar größenwahnsinnige Typen, viel stinkende Sportkleidung und schleimige Männer in Anzügen, die im Management arbeiten.
Ich verstehe einfach nicht, was man an Eishockey gut finden kann. Ich mag noch nicht einmal die Spiele, bei denen es gefühlt einhunderttausend Regeln gibt, die niemand versteht und während denen sich die Hälfte der Zeit wegen nichts und wieder nichts auf dem Eis geprügelt wird.
Deshalb kann ich mich auch schon gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal mit zu einem Spiel gefahren bin, um dann frierend und bibbernd auf den Rängen zu sitzen.
Ich schüttle den Gedanken ab und konzentriere mich lieber darauf, einen Vorteil aus dieser gestohlenen Zeit zu ziehen.
"Hey, Guys, Paris hier!", rufe ich grinsend in die Kamera. "Ich berichte mal wieder aus dem Inneren der Philadelphia Pucks. Wer von euch hat Lust auf brandheiße News?"
Ich füge eine Umfrage hinzu und ergänze Hashtags und Ortung, während ich weiter den fast schon gespenstisch stillen Gang hinuntergehe. Keine alte Sau ist an einem Freitagabend noch hier. Außer mein verrückter Bruder wahrscheinlich. Und ich, weil ich dazu genötigt werde.
Caden
Meine Laune ist im Keller. Coach Z hat mich, bevor ich mein Tagesziel erreicht habe, aus dem Trainingsraum geworfen – angeblich, damit ich mich nicht überarbeite. Er hat unrecht, ich weiß schon, was ich meinem Körper zumuten kann und was nicht. Aber irgendwie scheint er das nicht verstehen zu wollen.
Ich bin noch neu hier, ich muss mich anpassen, es hat einfach keinen Sinn, sich in den ersten Wochen schon so aufzulehnen.
Überhaupt bin ich nicht der Typ, der groß mit jemandem diskutiert. Ich mache meinen Scheiß mit mir allein aus und ziehe alles so lange durch, bis ich an mein Ziel gekommen bin. So war es schon immer und so wird es auch immer bleiben. Aber jetzt, in den ersten Wochen, muss ich mich ein wenig fügen. Auch wenn das kurzfristig bedeutet, mein Training anzupassen. Vielleicht fahre ich auf dem nach Hauseweg an diesem Schwimmbad vorbei, das ich letztens gesehen habe. Dann kann ich dort immer noch ein paar Runden drehen, wenn der Coach mich aus dem Quartier wirft.
Man kommt nicht dahin, wo ich jetzt bin, indem man nur das Nötigste tut. Im Gegenteil, ich bin nur so weit gekommen wie jetzt, weil ich mir jeden verdammten Tag den Arsch bis zum Maximum aufreiße.
Genervt schließe ich meine Trainingstasche, werfe sie mir über die Schulter, ziehe mir meine Basecap tief ins Gesicht und verlasse die Umkleiden.
Drakes satte Bässe dröhnen laut in meinen Kopfhörern, schotten mich fast völlig von der Umwelt ab, während ich den Gang entlang zum Hauptausgang gehe. Schwimmen ist eine gute Idee. Es lockert die Muskeln und steigert die Kondition. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, zwischendurch ein bisschen mehr Ausgleichssport zu treiben. Schwungvoll biege ich um die Ecke, bin schon ein wenig besser gelaunt, zumindest bis jemand voll in mich reinkracht.
Ich will anfangen, laut zu fluchen, doch dann prallt das regenbogenfarbene Etwas von mir ab und kracht vor mir auf den Boden. Überrascht beobachte ich, wie sie sich zum Sitzen aufrichtet und sich dann die langen, bunten Haare aus dem Gesicht sortiert.
Wie zum Teufel kommt ein Groupie hier rein? Die Tore sollten für die Öffentlichkeit schon lange geschlossen sein. Irgendwie muss sie sich an der Security vorbeigeschlichen haben.
Innerlich verdrehe ich die Augen, jetzt folgt bestimmt ein Anfall von begeistertem Gequietsche und Anhimmeln, bis wir ein Selfie und ein Autogramm hinter uns haben.
Weil ich kein Unmensch bin, greife ich nach ihren Oberarmen und stelle sie auf die winzigen Füße. Sollen das Schuhe sein? Ihre Chucks sehen aus wie aus der Babyabteilung.
"Pass doch auf, wo du hinrennst!", flucht sie auf einmal und funkelt mich wütend an.
Also ich meine zumindest, das von ihren Lippen lesen zu können, denn ich höre wegen der Musik in meinen Ohren keinen Ton.
Es ist auf jeden Fall nicht das übliche Fangirlverhalten, sondern ziemlich sicher böses Gemotze, was da über ihre schönen, vollen, rosa Lippen kommt.
Sie sehen total weich aus, als würden sie sich atemberaubend auf meiner Haut anfühlen. Sie bewegen sich hektisch, während ihre Schimpftirade weiter ungehört an mir abprallt.
Ihr hübsches Gesicht sieht mehr als nur genervt aus. Die scharf gezeichneten Augenbrauen sind zusammengezogen, sodass sich eine steile Falte zwischen ihnen abzeichnet. Ihre stechend blauen Augen sind zu Schlitzen verengt und von dichten, schwarzen Wimpern eingerahmt. Sie sind unecht, da bin ich mir sehr sicher. Solche Wimpern kann kein normaler Mensch haben, oder?
Ich kann nicht anders, als sie einfach dabei zu beobachten, wie sie wild gestikulierend vor mir herumfuchtelt. Ihre ausladende Körpersprache gleicht der einer feurigen Latina, die sie aber definitiv nicht ist. Dafür ist ihre Haut zu hell und alles an ihr schreit eher nach einem nordischen Typ.
Unerwartet kraftvoll stößt sie mich zur Seite, sodass ich sogar ein wenig ins Schwanken komme, dann stampft sie an mir vorbei. Überrascht beobachte ich ihren Abgang und ihren entzückenden Arsch, wie er energisch von links nach rechts schwingt. Er ist klein und prall und heiß. Ich könnte ihr stundenlang dabei zusehen, wie sie durch die Gegend stapft.
Viel zu schnell verschwindet sie hinter der nächsten Ecke, und ich überlege mir kurz, ob ich ihr folgen soll. Natürlich nur, weil ein Groupie hier nichts zu suchen hat, nicht, weil sie mir irgendwie gefällt. Doch dann schüttle ich meinen Kopf, um die Gedanken an Little Miss Hot abzuschütteln. Ich habe mein Trainingspensum noch nicht absolviert für heute. Ergo: Keine Zeit für Flirts und Sex. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen … also sofern dann noch Zeit und Energie für Vergnügen übrig bleibt.
Ich setze meinen Weg in Richtung Ausgang fort und kann nicht anders, als mich zu fragen, wie die Kleine wohl klingen würde.
Zum ersten Mal seit Jahren ärgere ich mich darüber, dass ich eine Stimme nicht gehört habe. Wo ich doch normalerweise so zufrieden damit bin, völlig abgeschottet von der Außenwelt zu leben.
Die kühle Septemberluft verdrängt den Gedanken an den Regenbogenfisch sofort und erinnert mich daran, worauf es wirklich ankommt.
Das Hier und Jetzt. Mein Training, mein Erfolg, meine Karriere, mein Leben. Niemand sonst auf diesem gottverlassenen Planeten ist wichtig.
Paris
Diese Eishockerspieler denken allesamt, sie sind der Mittelpunkt der Erde. Wie kann man nur so ignorant durchs Leben gehen?
Orlando ist der gleiche Typ, sie sind alle so. Als wären sie Superhelden oder Megastars. Aber ernsthaft, sie sind auch nur Menschen aus Fleisch und Blut, die eben auf dämlichen Schlittschuhen durchs Leben gleiten. Wie man sich darauf etwas einbilden kann, ist mir ein Rätsel.
Was habe ich die Wochen genossen, in denen Orlando im Trainingscamp gewesen ist. So viel Ruhe hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr. Er ist einfach eine verdammte Glucke.
Wenn er könnte, würde er mich wohl in einem riesigen Turm einsperren wie Rapunzel. Ich kann dann meine Regenbogen-Haare aus dem Fenster werfen, aber bei meinem Glück klettert nur ein kleiner, böser Troll hinauf in der Hoffnung auf einen Eimer Gold statt der Prinz, der mich retten soll. Jap, so ein Glück habe ich normalerweise im Leben.
Aber zurück zum Thema: Was man leider nicht abstreiten kann, ist, dass viele dieser arroganten Typen verdammt heiß sind. Also körperlich gesehen sind sie einfach megadurchtrainiert, haben breite Schultern und definierte Sixpacks … ganz nice und durchaus instagramtauglich.
Ich persönlich bevorzuge eigentlich den drahtigen Typ. Nicht so aufgepumpte Monster wie der Typ, in den ich gerade geknallt bin. Ich habe zwar unter seinem Hoodie nicht viel erkennen können, aber gefühlt dafür und, oha, der ist hart wie Stein.
Genauso hart wie sein unbewegter Gesichtsausdruck, aus seinem zugegeben enorm schönen Gesicht. Das wiederum finde ich bei Hockeyspielern eher ausgewöhnlich. Die meisten haben doch mehrfach gebrochene Nasen oder zumindest Cuts in den Augenbrauen, durch die Narben bleiben wie bei Orlando.
Nicht so der Latino, der mich gerade umgemäht hat, ohne sich zu entschuldigen.
Er hat ein markantes Kiefer, volle Lippen und beinahe schwarze, ausdrucksstarke Augen, die von dichten, dunklen Wimpern umrahmt sind. Augen, in denen genauso wenig Reaktion zu lesen gewesen ist wie in seinem restlichen Gesicht.
Und so wenig ich es auch zugeben mag, seine stille Art hat mich irgendwie neugierig gemacht. Ich meine, wer lässt sich schon von einer fremden Frau so beschimpfen, ohne mit der Wimper zu zucken?
Mein Handy klingelt, und auf dem Display sehe ich, dass Orlando mich anruft. Ich gehe nicht hin, ich weiß sowieso, was er will. Er will wissen, was ich tue, warum und wo und mit wem. Und nachdem er all diese Informationen hat, will er mich abholen oder sich mit mir am Hauptausgang treffen.
Also begebe ich mich direkt dorthin. Ich fahre nicht über Los und ziehe keine 400 Dollar ein. Innerlich grinse ich über meinen eigenen Witz und tippe eine Nachricht an Orlando.
P: Bin in fünf Minuten am Ausgang.
Dann mache ich noch eine Insta-Story von den leeren Umkleideräumen und schreibe ein "Leider keine da :(" dazu. Keiner da stimmt nicht ganz, denn Mr. Hot war hier, aber im Eifer des Gefechts habe ich tatsächlich vergessen, diese Insta-Augenweide zu dokumentieren. Bei Gelegenheit werde ich mich mal über ihn erkundigen. Nicht bei Orlando, versteht sich, der hat dafür so gar kein Verständnis.
Aber wozu gibt es denn Social Media und die Presse? Und dort wird bestimmt einiges über den stillen Kerl zu finden sein, denn er ist neu im Team, definitiv. Ein Typ wie er wäre mir beim letzten Sommerfest auf jeden Fall aufgefallen.
"Bereit, nach Hause zu fahren, Püppi?", fragt Orlando und ich hasse diesen Spitznamen.
Ich nicke. "Wird auch Zeit." Wobei er bei Weitem nicht so lange gebraucht hat, wie ich befürchtet hatte. Aber das muss ich ihn wirklich nicht wissen lassen, sonst beeilt er sich das nächste Mal vielleicht nicht so sehr.
Ich habe noch einiges zu tun, bevor wir morgen Orlandos Geburtstag in der Champions Sports Bar von Tammy feiern.
KAPITEL 2
Caden
"Was machst du denn noch hier?", fragt Coach Z, wenn ich seine Lippen richtig interpretiere. Ich muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut zu fluchen.
Ich meine, ernsthaft, wie kann man zwei Tage in Folge das Glück haben, vom Coach beim quasi illegalen Training erwischt zu werden?
Also nicht, dass es so etwas wie illegales Training gäbe, aber es kommt mir manchmal so vor, wenn er mich mit Argusaugen beobachtet und mich nach Hause schickt, als hätte ich einfach nur zu viele Drogen genommen.
Um ihn nicht noch mehr zu reizen und um ihn davon abzuhalten, mir wieder den Stöpsel aus dem Ohr zu ziehen, entferne ich den altmodischen Stecker von allein, ehe ich ihm antworte. Ich muss ihm antworten. Immerhin ist er mein Coach.
"Ich trainiere", sage ich, ohne meinen Laufrhythmus zu verändern. Ich mag dieses gleichmäßige Klatschen meiner Laufschuhe auf dem Band.
"Das sehe ich", brummt er, sichtlich unzufrieden mit meiner Antwort.
Ich verstehe nicht warum, es ist mir aber auch egal. Heute habe ich nur noch einen Kilometer vor mir, den schaffe ich notfalls auch streitend. Oder schweigend, wenn er mich weiter nur anstarrt, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun.
"Diaz!", knurrt er dann.
"Ja, Coach?"
"Willst du mich verarschen?"
"Nein, Coach."
Er knurrt wieder und stemmt die Hände in die Hüften. Ein unauffälliger Blick auf meine Anzeige sagt mir, dass ich noch 700 Meter habe. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber die Geschwindigkeit erhöhen, aber ich will ihn nicht noch mehr reizen.
"Heute ist Carters Geburtstagsfeier. Warum bist du also noch hier, statt dich auf den Abend vorzubereiten?"
Es dauert einen Moment, bis ich mich daran erinnere, wer Carter ist. Orlando Carter. Er ist unser Blueliner und seine Schüsse sind wirklich nicht von schlechten Eltern.
Ich zucke mit den Schultern, ich weiß nicht, warum der Coach denkt, dass ich zu dieser Feier gehen muss. Die herausragende Partyratte bin ich sowieso nicht. Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen mag ich es nicht, übermäßig zu feiern.
Also das Feiern an sich schon, aber den nächsten Tag nicht. Verkatert mein Training zu absolvieren ist wirklich grauenvoll, und ein Training ausfallen zu lassen, kommt überhaupt nicht infrage.
"Ich bin nicht eingeladen", sage ich ausweichend. Noch 600 Meter. Ich könnte mein Pensum wirklich noch schaffen.
"Er hat die ganze Mannschaft eingeladen." Der Coach verschränkt seine Arme vor der Brust. "Bist du nicht Teil der Mannschaft?"
Ich würde gern Nein sagen, weil ich mich nicht als Teil dieser Mannschaft fühle. Ich bin Teil keiner Mannschaft, gehöre nirgendwo dazu, genauso wie ich nirgendwo zu Hause bin.
Aber wenn ich Nein sage, muss ich mich entweder einer Grundsatzdiskussion stellen, oder der Coach zweifelt noch daran, ob ich überhaupt ins Team passe, weil ich ja anscheinend nicht willens bin, mich einzugliedern. Das ist ehrlich gesagt meistens der Grund, warum ich das Team wieder wechsle. Jeder ist mit meiner Leistung zufrieden. Ich trainiere hart, gebe mein Bestes auf dem Eis, habe schon so einige Teams vor dem Absturz bewahrt, aber dazu passe ich einfach nirgendwo.
Das war mein ganzes Leben lang so. Warum sonst hätten mich meine Eltern schon als Baby vor die Tür setzen sollen?
Also lüge ich, wie ich es so gern tue. Vor allem bei den ganzen Psycho-Tests, die immer mal wieder angeordnet werden.
"Ich bin Teil dieser Mannschaft."
"Und warum solltest du dann von dieser Einladung ausgenommen sein?"
Ich zucke die Schultern, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Mein Laufband sagt mir, dass ich noch 500 Meter zu laufen habe. Endspurt.
"Also bist du auf Carters Geburtstag eingeladen. Das heißt, du hörst jetzt auf mit diesem Zusatztraining und triffst dich mit uns allen in der Champions Sports Bar."
Ich erinnere mich an diesen Namen. Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das die Bar, die der Freundin des Finnen gehört. Es dauert noch einen Moment, dann fällt mir sein Name ein. Also zumindest ein Nachname. Aro heißt er und der Vorname ist für mich absolut unaussprechlich.
Wieder schiele ich auf mein Display und überlege, wie ich um diese Nummer herumkomme, da schnaubt der Coach.
"Ich lasse dich deine restlichen Kilometer heute laufen, wenn du bist spätestens zehn Uhr in der Bar bist und deinen Teil zum Teambuilding beiträgst!"
Das lässt sogar mich ein bisschen lächeln. Ein ungewohntes Gefühl, aber hey, man lernt nie aus.
Also nicke ich. "Deal, Coach."
"Bis später, Diaz."
Ich stecke mir den Ohrstöpsel zurück in mein Ohr und beobachte den Coach dabei, wie er den Fitnessbereich durchquert. Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee ist, mit lauter Leuten zu feiern, die doch überhaupt nicht mit mir feiern möchten.
Es ist einfach mehr als deutlich, dass das Team wieder einmal genauso wenig mit mir anfangen kann, wie es andersherum der Fall ist.
Aber ich will nicht schon wieder der sein, der Quer treibt. Wenn der Coach meint, dass sei ein wichtiger Teil meines Jobs, dann werde ich ihn – genauso wie jeden anderen Teil – nicht vernachlässigen. Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an.
Ein Blick auf meine Uhr sagt, dass ich noch fast vier Stunden bis zu meiner Deadline habe. Wie praktisch, dann kann ich mein geplantes Schwimmtraining vorher absolvieren und bin trotzdem pünktlich zum B-Day des Sonnyboys, den ich von Anfang an in die Kategorie reiches Söhnchen gepackt habe.
Genauso wie die verzogene Göre mit den Regenbogenhaaren, die sicherlich gut von Daddys Bankkonto lebt.
Wieder zupft ein Lächeln an meinen Mundwinkeln. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hat es dieses kleine Ding geschafft, mich so nachhaltig zu faszinieren, dass ich sogar jetzt, fast 24 Stunden später, noch an sie denke. An sie und ihren zitronigen Geruch und den kleinen Körper, der sich so verdammt gut an meinem angefühlt hat.
Kopfschüttelnd verlangsame ich das Tempo und laufe die letzten Meter entspannt aus. Was ist das nur mit dieser Stadt und ihren merkwürdigen Menschen? Irgendwie fühle ich mich noch mehr so, als würde ich nicht dazupassen, als es mir in den anderen Städten und Teams so gegangen ist.
Paris